Redebeitrag anlässlich des internationalen Tag gegen die Todesstrafe

Den folgenden Redebeitrag haben wir anlässlich des 18. Internationalen Tages gegen die Todesstrafe auf der Protestkundgebung in Rostock am 10. Oktober 2020 gehalten. Bei der Kundgebung am Kröpeliner Tor versammelten sich 20 Menschen. Es gab weitere Redebeiträge zur Situation im Iran und in Russland.

“Wir sind hier zusammengekommen, weil wir gegen die Todesstrafe demonstrieren. Es ist ein internationaler Gedenktag, der uns in Erinnerung rufen soll, was vermeintlich für uns hier keine Rolle spielt. Die Todesstrafe. Doch nicht nur Todesstrafe, sondern das, was immer auch im Kontext dessen steht: Das maximale Risiko, das eigene Leben einzusetzen. Verbunden mit drohendem Knast. Knast bedeutet Folter, Vergewaltigung, Entwürdigung. Die ganze Bandbreite dessen, was Menschen einander antun können. Die ganze Tiefe des Abgrunds dessen, wozu Menschen fähig sind. 

 

Das Thema bewegt uns, weil es unsere Freund*innen betrifft. Es ist eine Erfahrung, die wir – linke Aktivist*innen – hier in Deutschland nicht machen. Das Gefühl, dass wir mit dem, was wir tun um für eine gerechtere und solidarischere Welt zu kämpfen, unser Leben riskieren. 

 

Unsere Freundinnen und Freunde aus dem Iran, aus Syrien, aus Kurdistan, aus Mauretanien: Sie kennen das Gefühl.  
Das uns dieses Gefühl erspart bleibt, ist reines Glück. Der Zufall und das Privileg unseres Geburtsorts. 

 

In diesem unserem Land wird nun die Fluchtgeschichte derer bewertet, die wegen bereits erlebter oder drohender Todesstrafe oder Folter hierher gekommen sind. Dies findet beim BAMF statt, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Für diejenigen von euch, die das Asylverfahren nicht kennen, will ich das nochmal kurz erklären: 

 

Wer einen Asylantrag in Deutschland stellt, tut das in den Erstaufnahmelagern. In MV sind das Nostorf-Horst und Sternbuchholz. In den letzten Gesetzesverschärfungen wurde das Verfahren so aufgesetzt, dass die Leute möglichst schnell das Asylverfahren durchlaufen sollen. Warum? Um möglichst wenig von der sog. Anti-Abschiebeindustrie beeinflusst zu werden, und um bei Ablehnung möglichst schnell wieder abgeschoben werden können. Das bedeutet dann im Effekt, dass die Leute ihre Anhörung beim BAMF haben, ein paar Tage nachdem sie in Deutschland angekommen sind.

 

Das ist problematisch. Ihr könnt es euch vielleicht vorstellen: Eine Flucht ist keine Luxusreise. Auf der Flucht erlebt man belastende Dinge. Man durchquert Länder wie Libyen, man überwindet Grenzen, man schippert übers Mittelmeer, man lebt vielleicht mehrere Monate in einem der grausigen Hotspots an Europas Grenzen, zB in Moria. Plus das, was man erlebt hat bevor man das Herkunftsland verlassen hat. 

 

Dann kommt man hier an. Man hatte noch nie Kontakt mit einer*m deutschen Beamt*in. Und soll dann nach deren Standard die eigene Fluchtgeschichte schildern. Das ist hart und viele Leute schaffen das nicht. Sie schaffen es nicht, obwohl es gute Gründe gibt, warum sie hier bleiben dürften. Es fehlt am Bewusstsein dafür, was die Anforderungen sind. Welcher Logik die deutsche Bürokratie folgt. Manchmal besteht Misstrauen gegenüber Regierungsorganen oder den anwesenden Dolmetscher*innen – begründet in der Fluchtgeschichte. Begründet in Foltererfahrungen. Viele Leute bekommen Ablehnungen, weil das BAMF ihre Geschichten für „unglaubwürdig“ hält. Weil die Menschen nicht ausführlich genug oder nicht chronologisch genug über das sprechen, was sie erlebt haben. Oder weil sie keine Beweise haben. 

 

Seehofer und sein Innenministerium haben sich letztes Jahr etwas ausgedacht, das blanker Hohn ist: Eine Asylverfahrensberatung durch das BAMF selbst. Jede*r Asylsuchende bekommt vom BAMF eine Beratung, worauf es im Asylverfahren ankommt. 
Das ist absurd. Beratung sollte aus guten Gründen unabhängig sein. Diejenigen von uns, die vor einem Besuch beim Jobcenter schonmal eine unabhängige Sozialberatung in Anspruch genommen haben, können sich vielleicht im kleineren Maßstab vorstellen wo die Bedeutung der Unabhängigkeit der Beratungsorganisationen liegt.

 

Hinzu kommt, dass die Menschen seit den letzten Gesetzesverschärfungen noch länger in den Aufnahmelagern bleiben müssen. Auch hier ist die Idee: Wer isoliert lebt, kann leichter abgeschoben werden. Die Lage von Nostorf-Horst ist dabei besonders isoliert im Vergleich mit anderen Aufnahmelagern, die tendenziell zwar am Stadtrand, aber in größeren Städten wie Schwerin, Bremen oder Bamberg liegen. 

 

Als Betroffener von Folter, physischer oder psychischer Gewalt hat man eigentlich ein Recht auf eine gesonderte und den Erfahrungen entsprechende Unterkunft. Das steht in der EU-Aufnahmerichtlinie. Um diese Aufnahmerichtlinie kümmert sich nur irgendwie keine*r. Weder an Orten wie Moria, noch an Orten wie Horst. Es gibt keine systematische Identifikation derjenigen mit solchen Bedarfen. Irgendwie soll das Wissen um ihre Rechte den Betroffenen vom Himmel in ihre Köpfe fallen, damit sie sie einfordern. Weder das Landesamt noch das BAMF informieren hierzu. Sie beraten auch nicht dahingehend. Es gibt auch keine mehrsprachigen Psycholog*innen in den Aufnahmelagern. 

 

Das sind Einblicke in die staatlichen Strukturen und Schlaglichter auf die strukturellen Mängel im deutschen Asylsystem. Es gibt noch viele mehr davon. Die rassistischen Gesetze der letzten Jahre und politische Signale wie der neue Migrationspakt der EU lassen nicht viel Mut, dass von Seite der parlamentarischen Politik viel Positives zu erwarten ist. Hier regieren Konservatismus und Rassismus.

 

Genau da kommen wir ins Spiel. Wir: Selbstorganisierte Aktivist*innen, Basisinistiaitven und zivilgesellschaftliche Organisationen. 

 

Als antirassistische Initiative unterstützt Pro Bleiberecht zum Beispiel Genoss*innen und Menschenrechtsaktivist*innen, die hier in MV Asyl beantragen – sofern wir sie kennenlernen. Wir machen einmal im Monat Mahnwachen vor dem Aufnahmelager Nostorf-Horst. 

 

Wir wollen euch ermutigen und auffordern: Macht das auch! Nehmt Kontakt zu Leuten auf. Stellt euch vor. Nicht als „Helfer*innen“ und gute Engel. Stellt euch vor als die Aktivist*innen, die ihr seid. Nehmt Kontakt zu sozialdemokratischen oder kommunistischen Parteien verschiedener Länder auf. Oder zu LGBTIQ* oder feministischen Initiativen. Fragt nach, ob es Gleichgesinnte gibt, die sich in den Unterkünften für Asylsuchende in MV jeden Tag langweilen und Depressionen bekommen. Egal, wo euer eigener Themenschewrpunkt liegt: Macht euch bewusst, dass es viel einfacher für euch ist auf die Leute zuzugehen als aus der isolierten Situation in den Lagern auf Strukturen hier vor Ort zuzugehen.

 

Wir sehen jeden Tag auf Instagram: Den Kampf um die Strafverfolgung der syrischen Folterer. Die Videos der entschlossenen Mütter in Kurdistan, die ihre Kinder zurück fordern. Die Aufrufe Hinrichtungen im Iran zu verhindern. Das alles ist vermeintlich weit weg von uns. Aber eigentlich sehr dicht an uns dran. Die Wirklichkeiten, die unsere Freund*innen erlebt haben, bringen sie hier her zu uns. Mit ihnen sind auch immer noch die Wirklichkeiten derjenigen, die es nicht mit ihnen hier her geschafft haben.

 

Wir sind nicht alle. Es fehlen die Gefangenen. 

 

Heute ist ein Tag, an dem wir internationale Solidarität leben wollen. Heute ist ein Tag, an dem wir in Gedanken bei unseren Genoss*innen aus aller Welt sind. Wir sagen deswegen: 
Todesstrafe und Folter beenden: Überall!
Internationale Solidarität: Immer!”