Redebeitrag: Nein zu Rassismus! Gemeinsam sind wir stark!

Am 6. Juni fanden in Rostock zwei Kundgebungen auf dem Doberaner Platz und vor der Ulmenwache statt. Unter dem Motto "Nein zu Rassismus! Gemeinsam sind wir stark!" rief Migranet MV dazu auf, in Erinnerung an George Floyd und gegen Rassismus auf die Straße zu gehen. Pro Bleiberecht war mit einem Redebeitrag bei der Demo.

Rassistische Polizeigewalt in Deutschland

Der Tod von George Floyd, der durch eine rassistische und gewalttätige Polizeikontrolle starb, macht fassungslos und wütend. So richtig es ist, betroffen und solidarisch in die USA zu schauen, so wichtig ist es ebenso, auf rassistische Polizeigewalt in Deutschland aufmerksam zu machen. Die Betroffenen: Geflüchtete, Migrant*innen, Schwarze Deutsche und PoCs. Wir möchten heute deshalb nicht nur an George Floyd erinnern, sondern an alle Betroffenen von rassistischer Polizeigewalt. Und den Blick exemplarisch auch auf die Situation hier in Deutschland lenken. 
 
Wir erinnern heute Oury Jalloh. Der 37-jährige aus Sierra Leone hatte sich 2005 angeblich in seiner Zelle in Dessau selbst angezündet, obwohl er nachweislich gefesselt war. "Obwohl Brandgutachten die angebliche Selbstentzündung infrage stellten, führten mehrere Gerichtsverfahren lediglich zu einer Geldstrafe für den Dienstgruppenleiter. Ein rechtsmedizinisches Gutachten, das die Gedenkinitiative für Jalloh in Auftrag gab, stellte letztes Jahr fest, dass er vor seinem Tod massiv misshandelt worden war." (Tagesspiegel vom 5.6.)
Viele Freund*innen und Aktivist*innen sind sich sicher "Oury Jalloh - das war Mord!" - dass Oury Jalloh getötet wurde, um die vorherige Körperverletzung durch Polizist*innen zu verschleiern.

Wir erinnern heute Amad Ahmad. 2018 verbrannte der 26-jährige syrische Kurde Amad Ahmad in seiner Zelle in der JVA Kleve. "Er war mit einem gesuchten Mann aus Mali verwechselt worden, obwohl beide lediglich ihr Geburtsdatum gemeinsam hatten. Sieben Wochen vor seinem Tod informierte die Staatsanwaltschaft die Polizei sogar noch über den Irrtum; Ahmad blieb trotzdem in Haft. Und starb. Seit Ende 2018 versucht ein Untersuchungs-ausschuss des Düsseldorfer Landtags, den Fall aufzuklären."
Ein Mensch wird aus rassistischen Gründen inhaftiert (weil "verwechselt"), sitzt darüber hinaus weiterhin wochenlang unschuldig im Knast und verbrennt dann in seiner Zelle. Die Inititative, die sich in Gedenken an Amad gegründet hat, verlangt Aufklärung und Gerechtigkeit.

Wir erinnern heute Hussam Fadl. Im September 2016 starb Hussam Fadl vor der Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Moabit, in der er gelebt hat. "Die Polizei hatte zuvor einen anderen Bewohner festgenommen, dem Übergriffe auf Fadls Tochter vorgeworfen wurden. Als Fadl auf den Wagen der Polizisten zulief, trafen ihn deren Schüsse. Ein Verfahren wurde eingestellt, das Kammergericht erzwang aber dessen Wiederaufnahme."
Die Kampagne „Gerechtigkeit für Hussam Fadl" begrüßt die Entscheidung des Kammergerichts. Zu ihren Forderungen gehört unter anderem: die lückenlose Aufklärung der Erschießung von Hussam Fadl, die Einsetzung einer anderen Staatsanwaltschaft und die sofortige Suspendierung der beschuldigten Polizist*innen!

Wir erinnern an Achidi John (2001 Hamburg) und Laye-Alama Condé (2005 in Bremen). Beiden wurde dealen vorgeworfen. Zwangsweise verabreichtes Brechmittels sollte den verschluckten Stoff zum Vorschein bringen.
2006 verbot der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das zwangsweise Verabreichen von Brechmitteln als Folter, deren Praxis beide Männer im Polizeigewahrsam das Leben gekostet hatte. 

 
Viele dieser Fälle sind bis heute nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Die Polizei verwahrt sich meist vehement gegen den Vorwurf des Rassismus und Polizist*innen werden nur selten von Gerichten verurteilt. Oury Jalloh, Amad Ahmad, Hussam Fadl, Achidi John, Laye-Alama Condé, Robble Warsame und Yaya Jabbi würden heute noch leben, wenn es weniger institutionellen Rassismus und weniger rassistische Gewalt geben würde. 

Solidarität mit Betroffenen, Freund*innen und Angehörigen

Wir rufen zur Solidarität mit den Betroffenen und deren Angehörigen auf. Lasst uns die Beratungsstellen für Betroffene rassistischer Gewalt und die Gedenk-Initiativen supporten, die Aufklärung fordern! Gleichzeitig möchten wir aus Gründen auf die Notwendigkeit unabhängiger Beschwerdestellen in Fällen von Gewalt und Verstößen durch Polizeibeamt*innen hinweisen! An dieser Stelle gehen Grüße an unsere Freund*innen vom Bündnis "SOGenannte Sicherheit" raus, die genau diese Forderung monatelang gemeinsam mit uns erhoben und sich gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes - SOG MV - eingesetzt haben. 

Institutioneller Rassismus: Psychische Gewalt

Polizeigewalt ist tödlich. Doch ist das Asylsystem in Deutschland gerenell auf Gewaltakten aufgebaut. Viele davon schleichend, leise und psychisch. Das deutsche Asylsystem wird von Asylsuchenden oft als „unsichtbares Gefängnis“ beschrieben. „Das ist kein Leben. Sie nehmen uns das Menschliche“ ist eine Formulierung, die wir immer wieder hören. Dieser Effekt ist politisch gewollt. Im Juni 2019 wurde ein Gesetzespaket verabschiedet, dessen Kern sind: Isolation, Desintegration, Abschiebung.
 
Tatsächlich geht es mit den Gesetzesverschärfungen um Abschiebungen. Wahlweise auch darum, die Leute so sehr zu zermürben, dass sie vorher von selbst gehen. Abschiebungen sind ein schwerer Eingriff in die gesundheitliche Verfassung der Betroffenen und meist auch ihres Umfeldes. Nicht selten werden "renitente" Abzuschiebende gefesselt und zum Teil wird ihnen Beruhigungsmittel gegen ihren Willen zwangs-verabreicht. Jede Abschiebung ist staatlich legitimierte Gewalt. 
 
Den wenigsten ist diese Tatsache im Alltag bewusst. Wir haben uns an die meist klein gedruckten Nachrichten in den Medien gewöhnt: „In der letzten Nacht wurde die Familie XY oder der abgelehnte Asylbewerber Z. von der Polizei abgeholt und mit dem Flugzeug in ihr/sein Land rückgeführt.“ Welche individuellen Dramen, Verletzungen, welches Leid, welche tiefe Verzweifelung dieser staatliche Gewaltakt hinterlässt, wird nirgends notiert, aufgezeichnet oder darüber Studien angefertigt. Die Folgen müssen die Betroffenen selbst tragen.

Staatliche Gewalt: Abschiebungen

Verheerend wirken sich Abschiebungen auch auf diejenigen Menschen aus, die „nur“ Zeuge dieser Zwangsmassnahmen sind, selbst dann, wenn sie persönlich überhaupt nicht betroffen sind. Besonders verletzlich sind vor allem Geflüchtete, die nach Verfolgung, anstrengender Flucht und häufiger Existenzbedrohung in Gemeinschaftsunterkünften und Flüchtlingslagern Zeug*innen dieser meist nächtlichen überfallsmäßigen Abschiebemaßnahmen werden.
 
Abschiebungen sind solche psychischen Ausnahmesituationen, dass immer wieder Menschen Suizidversuche oder Suizid begehen, um dem Risiko einer zwangsweisen Rückkehr in ihr Herkunftsland zu entgehen. Diese Todesfälle sind den politisch Verantwortlichen bewusst. Sie sind ein Teil der Abschiebeindustrie, den sie wissentlich und willentlich in Kauf nehmen. 
 
Sie sind ein Teil des deutschen Asylsystems, das Menschen zum Warten zwingt und ihnen darin Vieles aufbürdet: Zermürbung, Unsicherheit, Depression, Ängste. Psychische Gewalt, tief eingeschrieben in unsere Institutionen und Gesetze.
 
Seit vielen Jahren protestieren Geflüchtete dagegen. Begehren auf, schreien diesen Rassismus in die Welt. Seit vielen Jahren wiederholen Unterstützer*innen öffentlich diese Tatsachen. Sie suchen den Kontakt zu Betroffenen, sie machen die Schicksale ihrer Freund*innen öffentlich und halten die Erinnerung lebendig. 

Rise up against racism!

Wir alle - Unterstützende, Antirassist*innen, Aktivist*innen, politisch Verantwortliche, Abschiebebhörden, ausführende Polizeibeamt*innen, Anwält*innen, Journalist*innen, usw. - wissen, was passiert. Die staatliche Gewalt gegen Geflüchtete ist bekannt. Wir müssen ihr viel mehr und täglich entgegentreten.
Titelbild: Bildwerk Rostock, Aktion in Erinnerung an George Floyd in Rostock am 4. Juni 2020.